Der Schweinsgalopp

Es ist Freitag, der 27.06. „Oh, wie schön ist Panama.“ So oder so ähnlich lauten unsere letzten Worte beim morgendlichen Rundgang durch das Gelände des Puflene Resorts in Murighiol, in dem wir uns, direkt am Sfintu Gheorge-Arm im Donaudelta einquartiert haben.
Uns beschleicht das leise Gefühl, dass wir hierher -ins Donaudelta, eines der letzte großen Naturparadiese Europas- zurückkehren werden. Irgendwann, nicht morgen, nicht nächsten Jahr. Aber sicher bald.
Allein, es drängt die Zeit, ab Montag ruft zumindest für 50% der Besatzung wieder der Alltag, und so legen wir die geplante Anklunftszeit am Ausgangs- und Endpunkt der Reise auf den späten Samstag Abend fest. Und vor uns liegen 2000km.
Und so sind wir -unseren Naturellen völlig zuwider- um 8 Uhr in der früh die Ersten am Früstüccksbüffet, und um kurz vor neun schnurrt der Volvo wieder. Von Murighiol aus geht aus über Tulcea, weiter die Donau entlang Richtung Braila. Das Donaudelta verabschiedet uns so, wie wir diesen untypischen Juni in diesen Breitengraden erlebt haben: mit Regen. Irgendwo hinter Isaccea halten wir kurz am Fahrbahnrand an, wir stehen auf einer kleinen Anhöhe mit Blick über die Donau hinein in die Ukraine. Und während wir mit dem Feldstecher in das uns verwehrte Land blicken kreuzt er auf, der etwas armselig dreinblickende Geselle mit seinen zwei Plastiktüten, der auf rümänisch auf uns einredet. Das einzige was wir verstehen ist „rumaniesti“ und „Ucraina“. Wir verstehen ihn nicht, er uns nicht, was ihn nicht davon abhält, weiter auf uns einzureden. Wir bieten ihm Zigaretten an, woraufhin er sich mit fast reifen Aprikosen bedankt. Wir finden immer mehr Gefallen an diesem Land.
In Braila überqueren wir die Donau, mangels Brücke allerdings auf einem altersschwachen Kahn, der sich hier Fähre nennt, umgerechnet stolze 7 Euro kostet umd kaum vom Fleck kommt.IMG_5674 Von Brăila geht es weiter über Mircea Voda und Buzău nach Ploiești, die Dobrudscha liegt nun hinter uns und wir befinden uns in der Steppe von Muntenia, mitten in der Walachei (kein Wortspiel). Die tipptopp ausgebaute Nationalstrasse führt zwar durch jedes kärgliche Nest, bringt uns aber zumindest Vorwärts, bis wir kurz vor Târgoviște langsam die Ausläufer der Karpaten erwischen.
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Und wir lassen auf der Route zig Sehenswürdigkeiten links liegen. Seufz. Entweder verfügt man über Zeit, oder über Geld. Die Tragik unseres Lebens im Vergleich liegt eher im fehlen an Ersterem, während es den Leuten hier überwiegend an Letzterem mangelt. Dass man in Târgoviște die Mauer besichtigen kann, an der Ceaușescu und Frau hingerichtet wurden blenden wir bei der Gelegenheit einfach mal aus.
Von Târgoviște biegen wir von der Nationalstrasse nach rechts ab, es geht nun nach Câmpulung in die Karpaten. Die Strasse wird schlechter, bleibt aber gut befahrbar. Die Ausschilderung in Campulung ist mindestens als saumäßig zu bezeichnen, weshalb wir uns erstmal mehrfach verfransen, bevor wir den Weg nach Curtea de Argeș finden. Irgendwann finden wir ihn doch, landen auf einer Straße, deren Nummer nun dreistellig ist -der Garant für nahende Bedeutungslosigkeit und entsprechende Fahrbahnqualität. Wohlwollend sei jedoch anerkannt, dass hier -anders als in Bulgarien- die Löcher wenigstens zugestopft werden, so dass lediglich unterbodenfressende Spurrillen übrigbleiben, neben ein paar Bodenwellen, in denen die Stoßdämpfer bis zum Anschlag mit einen dumpfen metallischen Echo einfedern.
In Curtea finden wir uns nun auf der 7C, der Transfăgărăș-Hochstrasse. In den ersten Dörfern nordwärts Schilder, die einen über die Sperrung der Straße ab km 104 hinweisen. Wir: ratlos. Was tun? Umdrehen? Allein für Transfăgărăș sind wir endlos durch unzählige Käffer getingelt. Oder weiter? Und umdrehen riskieren?
Wir entscheiden uns für letzteres. Schon im Friaul in Norditalien heissen Strassensperrungen meistens eher nichts. Warum sollten wir uns also nun ausgerechnet am Rande Transsilvaniens darüber Gedanken machen?
Wir erreichen irgendwann den Vidraru-Stausee, und unsere Nachfragen bei Einheimischen ergeben: „Ja klar ist die Straße passierbar.“ Wir fahren weiter, die Strasse windet sich langsam und umerklich über 50 Kilometer auf bis über 2000m hoch. Sobald wir die Baumgrenze überschreiten denken wir, wir seien im Unterengadin unterwegs. Die Karpaten liegen zwar deutlich weiter östlich, aber in ihrer Schroffheit und der Schönheit der Berge ähnelt die Landschaft hier ganz unzweifelhaft den Bergen Graubündens. Oben auf der Passhöhe des Bâlea unzählige kleine Verkaufsbuden, bei denen man allerlei Essbares, vor allem mal Wurst- und Käseprodukte erwerben kann. Und so geht es dann auf der Nordseite des Berges abwärts über die Serpentinen, am Horizont die Täler Siebenbürgens.
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Und so erreichen wir bald die zumindest rudimentär vorhandene Autobahn A1, die uns an Sibiu vorbei Richtung Westen bringt, wo sie dann bei Deva aber auch schon wieder aufhört. In Deva soll dann auch die Tagesetappe zu Ende sein. Trotz 12 Stunden am Steuer sind an diesem Tag lediglich 750km mehr auf dem Kilomterzähler.

Das heisst für den Samstag: Kilometerfressen. Wir verlassen das etwas rustikale Hotel in Deva bereits um kurz nach acht, wahrscheinlich unser frühester Aufbruch aller Zeiten. Am Ortsausgang lassen wir noch über 10 Lei, also weniger als 3 Euro, das Auto vom Dreck der letzten 4000 km befreien und vor uns liegen nochmal über 250 Landstraßenkilometer in Rumänien. Die Straße ist zwar ordentlich in Schuß, aber die Tatsache, daß es sich hier um eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen Europas handelt erleichtert das Fahren nicht unbedingt. Unglaublich Mengen an Verkehr, vor allem LKW quälen sich über die kurvenreiche Landstraße und durch Dörfer, in den zwar uach nur 50 erlaubt sind, aber sogar die LKW mit 80 durchbrettern. So geht es dann bis nach Arad, die letzte große Stadt in Rumänien, in der man -leider- mehrfach Bahnübergänge überqueren muss. Die erweisen sich als größtes Hindernis, denn der Zustand erlaubt das Überfahren nur mit schleifender Kupplung, und trotzdem ächzen Karosserie und Stoßdämpfer ohne Unterlass.
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Irgendwann gegen noch vor Mittag erreichen wir dann die ungarische Grenze in Nădlac und freuen uns, die Uhren wieder eine Stunde zurück auf MEZ umstellen zu können – eine Stunde gewonnen. Die Straßen sind jetzt besser, dafür die Landschaft öde und langweilig. Es geht über gute Landstraße bis nach Szeged, wo wir endlich wieder auf einer Autobahn rollen. Andererseits, jetzt kommt der Hunger. In Kistelek fahren wir von der Autobahn ab, fahren in den Ort und entdecken einen Supermarkt mit angeschlossenem Imbiss. Perfekt! Wir verstehen zwar kein Wort, aber irgendwie klappt es mit bestellen und wir essen Burger. Bei der Gelegenheit kaufen wir gleich ein, den unser Kühlschrank zu Hause wird uns leer erwarten. Da wir nur über begrenzt Forint verfügen machen wir eine neue Erfahrung: Einkaufen mit dem Handy als Taschenrechner. Und so schaffen wir es, fast auf den Forint genau einzukaufen.
Schlußendlich geht es weiter an Budapest vorbei, bis wir bei Györ die Autobahn verlassen, um Richtung Slowakei abzubiegen. Der Umweg ist nur minimal, lohnt sich aber für diverse Einkäufe. Nur beim tanken müssen wir entsetzt feststellen, dass der Sprit hier mittlerweile teurer ist als in Österreich, aber es hilft halt nix, die Reservelampe brennt schon seit Tatabanya. Entlang geht es entlang dem Donaukanal und dem moströsen Kraftwerk Gabčíkovo hinein nach Bratislava, wo wir in einem Tesco alle Besorgungen erledigen können, und über den Grenzübergang Kittsee nach Österreich.
Ab jetzt zieht sich die Fahrt, wir sind wieder in deutschsprachigen Gefilden, vor uns noch 450km, und ab Linz tauchen sie dann auf, die heftigen Wärmegewitter mit ihren sintflutartigen Regenfällen. Und das erste mal überhaupt sind wir nicht geneigt, am Knoten Salzburg wieder der Ausschilderung Villach und Slowenien/Italien zu folgen. Nein, diesmal wollen wir es tatsächlich, einfach nur der Strecke nach München folgen.
Ziemlich genau gegen 22 Uhr passieren wir den Walserberg, nach 3 Wochen sind wir wieder in Deutschland. Um 23.15 rollen wir zu Hause ein, nach fast 13 Stunden reiner Fahrzeit an diesem Tag und knapp über 1200km. Ja, wir sind wieder daheim. Erschöpft, aber glücklich.

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